TOOOOOOOR!

 

Fußball

 

Eigentlich wollte ich 4 Wochen (na, ja zumindest 2) nichts mehr schreiben. Ich hatte vor, eine Pause einzulegen.

Denn wer will jetzt etwas über behinderte Menschen lesen? Vielmehr! Wer will in der kommenden Zeit überhaupt etwas anderes lesen als Fußballergebnisse, Mannschaftsberichte, Spielerinterviews?

Ach, wie schön wäre es. Wenn es wieder so sein könnte wie damals. Als wir alle zusammen gefeiert haben, wir rundum glücklich waren, im kollektiven Rauschzustand? Damals war doch alles gut. Damals haben wir uns noch nicht den Kopf über Flüchtlingsströme zerbrechen müssen, im Landtag gab es keine umstrittenen Parteien, wir haben uns in den Menschenmassen riesiger Fanmeilen wohl und geborgen gefühlt, weil noch keine Bomben in Restaurants und Diskotheken hochgingen(zumindest nicht in solch einer unmittelbaren Nähe und mit so vielen Opfern).

Und da dachte ich, mit so einem Gefühl kenne ich mich aus. Mit diesem Gefühl, dass das Leben schon mal irgendwie einfacher war, leichter, irgendwie freier. Und dass man es gerne wieder so hätte. Aber es nicht mehr so richtig klappen will. Mittlerweile ist immer was. Ich werde alt, denke ich. Jetzt rede ich wie all die Omas und die Opas. Früher war halt alles besser.

Dann noch dieses Wetter! Na ja, schon in meiner Kindheit vermisste Rudi Carell den Sommer und sang von kalten, verregneten und sibirischen Tagen. Also kann das zumindest dann doch nicht dramatisch schlechter geworden zu sein.

Trotzdem. Zur Zeit spüre ich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube. Ich blicke seit Wochen täglich auf dieselben Symbole auf meiner Wetterapp und fühle mich ein klein wenig wie in der Anfangsphase eines Roland Emmerichs Film. „Da stimmt doch was nicht…“, beginne ich mir zu überlegen und frage mich, ob wir beginnen sollten, Lebensmittel zu horten. Auf jeden Fall tragen Überflutungen eben auch nicht unbedingt zu einem deutschen Sommermärchen bei.

Die Stimmung will also nicht so richtig bei mir aufkommen. Eigentlich bin ich sowieso überhaupt kein Fußballfan. Die Bundesliga interessiert mich nicht. Aber wer mich kennt, weiß, dass ich bei den Europameisterschaften und bei den Weltmeisterschaften kein (zumindest deutsches) Spiel verpasse. Da bin ich voll dabei. Weil es mir schlichtweg Spaß macht, das Land in dem ich lebe, einmal ausgelassen, lebensfroh und tanzend zu erfahren. Und da mache ich natürlich mit. Und wie! Keine Frage.

Jetzt schreibe ich ja doch etwas. Was ich ja eigentlich nicht tun wollte. Na ja, denke ich. Schließlich hat doch jeder was zur Europameisterschaft zu sagen. Irgendwas. Und jegliche Berufsgruppe, ja jede Randgruppe, kann mitmachen. Die Bäcker können Länderfähnchen in den Plunder stecken, die Nudelbetriebe rote Beete und Sepiatinte in den Teig mischen, die Metzger „Lattenkracher“, „Stürmerschnitzel“ und „Anpfiffwürstel“ verkaufen und die Orthoptisten schwarz-rot-goldene Augenpflaster verteilen (ich muss gerade so oft daran denken, wie wir im Jahr 2014 Julius linkes Auge regelmäßig mit solch einem speziellen Pflaster abgeklebt haben. Um sein Schielen zu korrigieren. Es war genau zu der WM-Zeit und auf den Pflastern waren ein Fußball und die Deutschlandflagge abgebildet. Mittlerweile kleben wir nichts mehr ab. Wir haben andere, wichtigere Baustellen. Wir kämpfen um Lebensqualität. Nicht mehr ums gerade aus schauen).

Also, Bäcker und Ärzte machen mit und außerdem kann man doch den Fußballsport von allen möglichen Seiten betrachten. Müsste ich über Behinderung und Fußball schreiben? Ich google einfach mal. Zum Spaß. Und gleich habe ich einen Treffer. Es gibt eine Sepp Herberger Stiftung (noch nie gehört). Für den Fußball. Für den Menschen. Na, also.

Ich stöbere ein bisschen darin herum: „Mit der BLINDENFUSSBALL-Bundesliga wollen wir einer breiten Öffentlichkeit zeigen, zu welch herausragenden Leistungen behinderte Menschen in der Lage sind (…) betont Eugen Gehlenborg, DFB-Vizepräsident für Sozial- und Gesellschaftspolitik und Vorsitzender der Sepp-Herberger-Stiftung“.

Ach Du meine Güte, kommt mir sofort in den Sinn. Auch als behinderter Mensch kann man sich nicht vor dem allgemeinen Leistungswahn drücken und muss wohl außergewöhnliches vollbringen.

Bei uns ist das irgendwie anders. Wir (Noacks) lernen gerade genau das Gegenteil. Dass es eben nicht (nur) um Leistung geht und dass uns Julius genau das, tagtäglich vor Augen führt. Diese Internetseiten scheinen nicht so richtig zu uns zu passen, stelle ich fest. Vielleicht gibt es noch etwas anderes? Ich suche weiter. Da. Noch ein Artikel zum Thema Sport und Behinderung:

„Nix mehr los mit Rollstuhl, Prothese & Co.? Und ob! Wer glaubt, dass Menschen mit Behinderung nur wenige Auswahlmöglichkeiten bei der Sport- und Freizeitgestaltung haben, täuscht sich“ lese ich auf www.myhandicap.de. Es geht um Carbonprothesen, Handbikes und sonstiges Equipment. Toll! Wirklich! Aber ach, alles nicht so richtig passend für unsere Situation.

Und ich muss doch noch einmal an unsere Auseinandersetzung mit der Krankenkasse denken. Wegen dieses Freizeitbuggys. Wir wollen mit Julius nicht Gleitschirmfliegen, Kitesurfen oder Skifahren. Wir wollen im Wald spazieren gehen, im Schnee unterwegs sein und ihn beim Fahrradfahren mitnehmen. Das sind aber alles Dinge, die mit dem normalen Rehabuggy nicht möglich waren. Denn der hat Räder wie ein gewöhnlicher Kinderwagen und jeder der schon einmal mit einem solchen im Wald oder im Schnee unterwegs war, weiß, dass die Fortbewegung damit keinen Spaß macht bzw. gänzlich unmöglich ist.

„Der muss reichen!“ – sagte die Krankenkasse. „Einen reinen Freizeitwagen zahlen wir nicht! Das ist ihre Privatsache!“ Nach endlosen Telefonaten und Schriftwechsel haben wir beschlossen, es tatsächlich zu unserer Privatsache zu machen. Und wir haben ihn uns gekauft. Was solls. Wenn wir dieses Jahr alle zusammen für drei Wochen in den Urlaub ins Viersternehotel gefahren wären, hätten wir dieselbe Summe ausgegeben. Das hätten wir ja ohnehin nicht gemacht. Von daher! Aber ich denke an die Familien oder an die Alleinerziehenden, die sich diesen Wagen nicht leisten können. Für die bedeutet es, dass sie mit ihrem behinderten Kind eben nur auf geteerten Straßen fahren können. So einfach ist es wohl doch nicht mit dem Sport und der Integration.

Ich weiß nicht. Vielleicht schreibe ich doch nichts über Fußball und Behinderung. Passt nicht. Nicht für uns. Vielleicht ist Julius „zu arg behindert?“, frage ich mich.

Gestern habe ich zumindest schwarz-rot-goldene Fruchtgummibänder mit Erdbeergeschmack gekauft. Die kann Julius schmecken. Und dann noch diese schwarz-rot-goldenen Nudeln. Die können wir pürieren. Immerhin. Also, doch!

Wir sind dabei!

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