Von Pfannkuchen und Sekt Aperol

 

Kuh mit Berg2

 

Ach, ich habe mir heute ein schönes Büchlein von Erich Kästner gekauft. Mit Gedichten, die schmecken wie frisch gebratene Pfannkuchen mit Zimt und Zucker. Ich muss gleich eines der leckeren Stücke verteilen:

 

Spaziergang nach einer Enttäuschung

Da hätte mich also wieder einmal

eine der hausschlachtenen Ohrfeigen ereilt,

die das eigens hierzu gegründete Schicksal

in beliebiger Windstärke und Zahl

an die Umstehenden gratis verteilt.

 

Na schön. Der Weg des Lebens ist wellig.

Man soll die Steigungen nicht noch steigern.

Es war wieder mal eine Ohrfeige fällig.

Ich konnte die Annahme schlecht verweigern.

 

So ein Schlag ins vergnügte Gesicht

klingt für den, der ihn kriegt, natürlich sehr laut,

weil das Schicksal mit Liebe zur Sache zuhaut.

Tödlich sind diese Ohrfeigen hingegen nicht.

Der Mensch ist entsprechend gebaut.

 

Jedoch wenn ich den See betrachte

und die schneeweiß gedeckten Berge daneben

muss ich denken, was ich schon häufig dachte:

Diese Art Ohrfeigen brauchte es nicht zu geben.

 

Da rennt man nun die Natur entlang

und ist froh, dass man Keinem begegnet.

Die Vögel verüben Chorgesang.

Die Sonne scheint im Überschwang.

Aber innen hat’s ziemlich geregnet.

 

Die Glockenblumen nicken verständig.

Eine Biene kratzt sich ernst hinterm Ohr.

Und der Wind und die Wellen spielen vierhändig

Die Sonnenscheinsonate vor.

 

Das Schicksal wird mich noch öfter äffen

Und schlagen, wie es mich heute schlug.

Vielleicht wird man wirklich durch Schaden klug?

Mich müssen noch viele Schläge treffen,

bevor mich der Schlag trifft. Und damit genug.

Erich Kästner

 

 

Unser Leben

„Wie kann man leben, wenn man ständig den Tod vor Augen hat?“ Michael sitzt mir am Frühstückstisch gegenüber und schaut mich fragend an.

Ich halte Julius im Arm, der vor einigen Minuten wieder einen Anfall hatte. Obwohl die Krämpfe wie Zähne putzen, müde sein, Hunger haben oder pinkeln müssen, zu unserem Alltag gehören, stimmt jeder einzelne von ihnen traurig und macht wütend…

Für einen klitzekleinen Augenblick, der so klein ist, dass wir ihn kaum wahrnehmen. Oder ist es nicht eher so, dass wir ihn nicht groß werden lassen wollen? Weil wir denken, die Trauer passt nicht in das Leben? Früher war es so. Früher konnte es so sein.

Früher habe ich abends das Licht neben meinem Bett gelöscht, mit einer heimeligen Gewissheit, dass alles gut war. Keine Sorge sich so groß darstellte, dass sie mich nachts hätte wach halten müssen. Ich wusste im Grunde, dass jeder Verdruss sich würde gerade bügeln lassen – wie die Falte in der Bluse, die Knitter im weißen Papier.

Seit Julius Geburt ist es ein wenig so, als ob wir auf gekräuselten Seiten schreiben. Und wir runzlige Hemden tragen. An die müssen wir uns erst gewöhnen. Sie entsprechen manchmal nicht unserem Modegeschmack. Und es gibt Zeiten, da reißen wir sie uns völlig erschöpft vom Leibe, weil wir gerne faltenlose Kleider anhätten. Als ob es solche geben würde….dann schlüpfen wir wieder eilig und glücklich in unsere abgetragenen Klamotten. Und manchmal verspüre ich die Lust, mir ein neues Notizbuch des Lebens zu beschaffen, eins mit makellosem Einband und ohne Eselsohren. Und dann merke ich, dass mir ein solches überhaupt nicht gefällt, ich an jedem anderen Büchlein etwas auszusetzen habe. Erleichtert und glücklich, nehme ich mein altes und verknülltes in die Hand und blättere wieder behaglich darin herum.

Wir gehen wieder abends Salsa tanzen, währenddessen eine Dame vom Hospizdienst auf Julius aufpasst. Wir trinken Sekt Aperol und stöbern in der Broschüre der Rehaartikel. Wir schlemmen selbstgemachte Nudeln beim Lieblingsitaliener, einstweilen Julius seinen Valiumrausch auf der Eckbank nebendran ausschläft. Wie passt das zusammen? Es ist die Faust und das Auge, es sind die Äpfel und die Birnen, der Ochse und das Seil, der Igel und das Handtuch.

Es ist wohl das Leben.

Zimmertuer Krankenhaus

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