Humor – jetzt mal im Ernst!

Vor einigen Tagen war ich mit Michael bei einem Poetry Slam-Festival. Ich liebe diese Veranstaltungen! Was haben wir gelacht!

Ich bin ein alberner Mensch, diejenigen, die mich kennen, wissen genau, wie gern ich kichere. In der Schule war ich Mitglied der „Chicken Gang“. Allerdings nicht unbedingt die angesehenste Truppe. Wir waren berühmt…berüchtigt. Chicken leitete sich nicht etwa von Chica, dem spanischen Wort für Mädchen, ab. Sondern es bedeutete das, was es nun mal bedeutet: Huhn.

Wir waren die gackernden Hühner.

Auf jeden Fall dachte ich beim Poetry-Abend, dass ich – wenn ich etwas talentierter wäre – da unbedingt mitmachen würde. Heute.

Und ich stellte mir vor, wie mich der Moderator ankündigt: Gabriele Noack, Mutter eines schwerst mehrfach behinderten Kindes…

Oh Gott! Schock! Atemstillstand! Alles klar. Stimmung im Saal am Arsch. Kein Witz der Welt kommt gegen diese Aussage an.

Es gibt Tatsachen, die mit Humor unvereinbar erscheinen. Ich würde mal sagen, meine Karriere auf den Poetry Slam-Bühnen der Welt wäre vorbei, noch ehe sie begonnen hätte. Meine Person wird mittlerweile eher mit ernsten Themen in Verbindung gebracht.

 

Es ist ja sogar so, dass ich mich, wenn ich neue Menschen kennenlerne, extra locker und witzig gebe. Aus reiner Angst vor den Reaktionen auf meine Lebenseckdaten: „Oh nein, oh je, oh wie schlimm“! Dazu schockierte Gesichter.

Sofort folgen standardisierte Nachsätze von mir:

Wir kommen inzwischen gut klar; man kann das aushalten, wenn man muss; für uns ist das Alltag“.

Bezeichnenderweise ist es ja auch so, dass die meisten Slam-Poeten junge Hüpfer sind. Ab einem gewissen Alter und den damit gemachten Lebenserfahrungen fällt es womöglich zu schwer, das Leben als Spaßfaktor zu sehen.

Neben Poetry-Veranstaltungen besuchen wir auch ab und an Comedy-Abende.  Ich überlege mir dann immer, wie es dem Künstler wohl gerade geht. Jetzt. Nach der wahrscheinlich 24. oder 67. Vorstellung seines Programmes. Kein Mensch kann doch dauerhaft lustig sein. Was, wenn vor kurzem erst die Mutter, der Vater oder sonst wer verstorben ist? Sich bei der letzten Blutuntersuchung ein unklarer Befund  herausstellte? Die Ehe, die Partnerschaft kriselt?

Und dann heißt es: Raus auf die Bühne! Das Publikum begeistern! Denn das Publikum will abgelenkt werden. Vom Tod der Mutter, vom unklaren Befund, von der Ehekrise.

Und plötzlich habe ich Mitleid mit dem oder der da oben. Ich schäme mich sogar ein wenig, weil ich das Gefühl habe, den Star des Abends auszunutzen. O.k., das hat jetzt was mit mir zu tun. Ich neige bekanntlich dazu, mich für alles schuldig oder zumindest mitschuldig zu fühlen.

Nun aber zurück zu der Frage, ob ich noch Chancen in der Kabarettbranche hätte? Gibt es eigentlich Comedians mit schweren, durchlebten Schicksalsschlägen?

Auf die Schnelle fällt mir niemand ein. Diejenigen, die mir spontan ins Gedächtnis kommen, sind alle sehr gesund,  sehr hübsch und sehr jung.

Selbst Michael, der bestimmt treueste Gerhard Polt-Fan, weigert sich momentan Karten für einen Abend mit dem Kabarettisten zu kaufen. Ich vermute, es könnte daran liegen, dass er sich bei einer solchen Veranstaltung nicht seines eigenen Älterwerdens bewusst werden will. Polt begleitet ihn schon sein Leben lang. Und Polt wird nun 77.

Älterwerden ist nicht zum Lachen. Schwer krank sein auch nicht. Oder?

Auf der anderen Seite fördern schwierige Verhältnisse die witzigsten Menschen zutage.

Charly Chaplin zum Beispiel. Sohn einer psychisch kranken Mutter, der Vater hatte die Familie verlassen, Chaplin wuchs in großer Armut auf. Hape Kerkeling, Mike Krüger…sie alle hatten komplizierte, traurige Kindheiten.

Aber vielleicht ist eine tragische Lebenssituation sogar eine gute Grundlage für Heiterkeit und Frohsinn? Oder gar ein fruchtbarer Boden, auf dem Komisches mitunter wunderbar gedeihen kann?

Vielleicht kann man das Leben nicht immer ganz so ernst nehmen, wenn man schon einmal richtig in der Scheiße saß?

Woody Allen soll gesagt haben „Komödie ist Tragödie plus Zeit“.

Von daher müssten in der Comedy-Szene etliche Schicksalsgeplagte umherschwirren. Und auch ich darf meine komische Ader weiterhin ausleben.

 

8 Gedanken zu „Humor – jetzt mal im Ernst!

    1. Liebe Erna, Danke für diesen Hinweis! Ich habe mir den Beitrag gerade angesehen – sehr schön! Hoffentlich schauen viele rein 🙂 Liebe Grüße aus dem verregneten Stuttgart Gabriele

  1. Liebe Gabriele,
    auch wenn ich noch so tief in der S… steck(t)e, sobald ich einen Witz darüber machen kann/konnte, ist/war das Schlimmste vorbei. Und von daher kann ich Dich nur ermuntern auf die Bühne zu gehen. Vielleicht sollte man einfach mal einen „worst case best joke poetry slam“ andenken. 😉
    Ich selber kriege immer Beklemmungen, wenn mir jemand sagt „o nein, wie schrecklich, das tut mir leid“ wenn ich meine Lebenseckdaten ( für die meisten eher Lebensschreckdaten) preisgebe. Aber ich sehe auch nicht ein, warum ich schweigen soll, auch wenn mein Kind schon seit Jahren tot ist. Er hat mir wundervolle und schreckliche Momente geschenkt, mich zum Lachen und Weinen gebracht. Trotzdem oder gerade deshalb, erzähle ich heute Witze über mich und ihn – ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Vielleicht macht er das ja auch – da, wo er jetzt ist.

    Also, rauf auf die Bühne. Du rockst den Saal!
    Liebe Grüße
    Susanne

    1. Liebe Susanne, Du hast mich echt zum Lachen gebracht! Du schreibst so herrlich lebendig! Und die Lebensschreckdaten muss ich mir unbedingt merken! Danke für Deine Nachricht und herzliche Grüße aus Stuttgart
      Gabriele

  2. Liebe Gabriele, es gibt tatsächlich einen Comedian, der sich von all den „perfekten“ Comedians unterscheidet. Ich habe ihn live gesehen und finde ihn wirklich sehr lustig und trotz der Tatsache, dass er wegen einer Rückenmarksekrankung seit ca. 15 Jahren im Rollstuhl sitzt, auch sehr attraktiv. Er kann über sich selbst lachen, hält aber auch anderen einen Spiegel vor. Tan Caglar kann man sich auf jeden Fall mal ansehen. Viel Grüße und alles Gute von Nadine

  3. Liebe Gabriele, nein wie recht du hast. Ich kenne diese automatisierten Nachsätze nur zu gut. Seltsam, dass man als Mama eines schwerst behinderten Kindes denkt, man müsse seine so furchtbar klingende Situation immer gleich relativieren. Für wen machen wir das? Für uns oder für unser Gegenüber? Ich bin ein sehr fröhlicher Mensch – schon immer. Aber ich glaube vor allem, weil ich zusammen mit Emma und ihren zwei Schwestern ein so intensives Leben führe. Es geht immer „Auf“ und „Ab“ und „Auf“ und „Ab“…ein bisschen wie eine stürmische See. Und wer fühlt sich am Meer nicht lebendig? Wir leben im Moment, entschleunigt und mit Achtsamkeit – eigentlich das, wonach alle zur Zeit streben. Wäre da nicht das schwer „kranke“ Kind. Das möchte sich dann doch keiner für sein Leben vorstellen.

    Ich denke du solltest einen Auftritt wagen :). Ich würde kommen und mich gerne von dir mitreißen lassen.

    Alles Gute euch, Anne mit Emma, Martha und Liesbeth

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