Komm` lass uns mal wieder essen gehen

Passend zum Wetter gibt`s heute eine „leichte“ Geschichte. Ereignet hat diese sich allerdings bereits Anfang des Jahres…

Ich wünsche Euch wunderschöne, sonnige Ferien und uns allen eine ruhige, friedliche Zeit!

 

Garten

 

Komm` lass uns mal wieder essen gehen…

 

„Komm` lass uns mal wieder essen gehen“, entschied Michael einfach so, dieses Wochenende. Er meinte, essen gehen mit der ganzen Familie. Also, mit allen.

„O.k…, meinst Du wirklich?“, erwiderte ich zögernd und war mir nicht sicher, ob es sich um eine gute Idee handelte. Otto, unser Hund, war mittlerweile ein dreiviertel Jahr alt, aber von „Folgen“, so wie ich es mir vorstellte oder besser, vorgestellt hatte, war noch keine Rede. Wahrscheinlich lief es mit dem Pudel schlichtweg auch nicht anders, als mit unseren Kindern. Eben nicht nach meinen Erwartungen.

Wir beschlossen zu unserem Lieblingsitaliener zu gehen, weil es dort die leckersten Calamari gab. Außerdem konnte man dort direkt vor der Tür parken (kein ganz unerheblicher Grund, wenn der Kofferraum des Autos vollgestopft mit notwendigen Hilfsmitteln ist).

Während ich mit Otto noch schnell die nächstbeste Wiese vor dem Lokal aufsuchte, begann Michael schon einmal unser Behindertenequipment auszuräumen. Zuerst schleppte er das Untergestell des Therapiestuhls ins Restaurant, ein paar Minuten später das Obergestell. Zum Glück konnte man das Teil überhaupt auseinandernehmen, sonst wäre ein Transport gänzlich unmöglich.

Dann übernahm Tom die Hundeleine, damit ich Julius aus gefühlten fünfzig Schnallen seines neuen, hypergalaktischen Spezialautositzes befreien und in die Gaststätte tragen konnte. Dort versuchte Michael bereits neben unserem Tisch den Rehastuhl wieder zusammenzubauen. Das klappte wie immer nicht auf Anhieb, weil sich jedes Mal so ein kleiner Sperrriegel weigert, auf zu gehen. Man muss das ganze Teil ein wenig hin und her rütteln, den Adapter raus und reindrücken, und irgendwann rastet der Stift überraschenderweise dann doch ein.

Michael stand bereits der Schweiß auf der Stirn, allen anderen Gästen die Neugierde in den Augen. Eine ältere Dame, die allein am Nachbartisch saß, verschob sorgsam ihren Stuhl ein klein wenig, um freie Sicht auf das Geschehen zu haben.

Solange ich dabei war, Julius wieder mit fünfzig Schnallen am Therapiestuhl anzugurten, sprang unser Pudel, wie ein JoJo an der Schnur, an meinen Beinen hoch und runter. Schließlich war ich seine Hauptbezugsperson und hier in der fremden Umgebung, brauchte er wohl meine Nähe.

Schnell setzte ich mich, mit Otto im Schlepptau (oder besser an der Leine), auf die Bank (wir reservieren immer einen Platz mit Bank, damit wir Julius, falls er krampfen sollte, dort ablegen können)und begann unter dem Tisch, unseren Hund fest am Ohr zu kraulen. Ich weiß nicht warum, aber das befördert ihn sonst immer in eine ruhige, fast meditative Stimmungslage. Heute allerdings erzielte meine selbstentwickelte Akupressurmethode bei ihm nicht die erhoffte Wirkung.

Trotzdem konnte ich Tom gleichzeitig die Speisekarte vorlesen, schließlich war ich nur mit einer Hand beschäftigt, die andere und die Augen hatten gar nichts zu tun.

Michael breitete derweilen sorgsam, aber unnötigerweise, Ottos Decke auf dem Boden aus. Als ob unser Haustier daran denken würde, es sich bequem zu machen!

Um die Blutzirkulationsunterbrechung an meinen Fingern und an meinem Handgelenk zu beenden (Hund! Leine!), hörte ich auf zu lesen und suchte einhändig in meiner Handtasche nach einem dieser wohl superleckeren, steinharten Schweineohren, die unser Pudel zu Hause liebt und für die er mir pro Stück etwa 15 Minuten Ruhe schenkt (so lange braucht er in der Regel, um es zu verschlingen. Deshalb finden sich seit Kurzem in all meinen Taschen seltsame, verdorrte Tierkadaverteile).

Erleichtert hielt ich so ein fettiges Teil in den Händen und ihm sofort unter die Nase. Hier im Restaurant interessierte er sich allerdings kein bisschen dafür. Eigentlich kein Wunder, wo den anderen Gästen laufend dampfende Fischsuppen, köstlich duftende Nudeln mit Lachssahnesauce und frisches Thunfischcarpacchio serviert wurden.

Endlich kam der Kellner zu uns an den Tisch. Was für eine Pudel-Begrüßungsfreude! Es stellte sich heraus, dass der Ober allerdings panische Angst vor Hunden hatte und an einer Begrüßung nicht interessiert war. Im ganzen Empfangs-Tohuwabohu fiel mir das Schweineohr aus der Hand und Otto, wild mit den Beinen strampelnd, scharrte es kurzerhand irgendwo tief und für mich unerreichbar unter die Sitzbank. O nein!

Ich nehme ein Bier und die Calamari!“ rief ich angestrengt dem Ober zu und lachte übertrieben.

Michael benötigte, was seine Bestellung anging, noch Bedenkzeit.

„So lange gehe ich kurz auf die Toilette!“ beschloss ich und übergab meinem Mann die Leine mit einem zu jaulen beginnenden Tier. Ich bog so schnell ich konnte um die Ecke und erledigte mein Geschäftchen noch schneller. Am Waschbecken, flüchtig in den Spiegel blickend, dachte ich kurz wehmütig an jene Zeiten, in denen ich auf dem Klo noch Lippenstift auftragen, Deo nachsprühen, Fingernägel knipsen oder die Nase pudern hätte können. Gabi, das hast Du doch damals auch nicht gemacht, sagte ich mir. Egal, es ist wie es ist. Manche Dinge will man eben erst dann, wenn man sie nicht mehr haben kann.

„Ich glaube, es ist besser, Du nimmst ihn!“, meinte Michael dann wieder am Tisch zu mir. Ich nickte und band mir den Lederriemen, den mein Mann mir entgegenstreckte, stramm um meinen Oberschenkel.

Dann kam das Essen (kurzer Schmerz im Oberschenkelfettgewebe). Ich versuchte, nur mit der Rechten die kross gebratenen Tintenfischringe aufzuspießen (die Linke musste ja wieder kraulen). Zwischendurch schob ich Julius einen Löffel des mitgebrachten Breis in den Mund. Aber unser kleiner Sohn hatte keinen Hunger. Das schien mal wieder ein Abend zu sein, an dem es ihm nicht so gut ging. Diese Abende oder Tage gab es hin und wieder (meistens öfter) und keiner (am wenigsten Julius) konnte sagen, was los war. Er bewegte seinen Kopf unruhig hin und her, überstreckte die Beine und meckerte in seiner autoirdischen Sprache.

Ich wagte zwischendurch einen verstohlenen Blick nach rechts, an den gegenüberliegenden Tisch, an dem die ältere, vornehm gekleidete Dame an ihrem Weißweinglas nippte.

Ich lächelte sie unsicher an. Sie lächelte angeregt zurück. Julius fing an, immer lauter zu werden. So laut, dass es mir unangenehm wurde und ich Michael bat, Otto kurz zu übernehmen. Ich öffnete die fünfzig Schnallen, hob unseren Sohn aus seinem Stuhl und legte ihn mir auf den Schoß, in der Hoffnung, dass auch ihn, meine Nähe beruhigen würde.

Kaum saß ich, zerrte der Hund wieder in meine Richtung, worauf ich ihn mir, notgedrungen, erneut an mein Bein band (genau so, muss übrigens dieses Sprichwort „sich etwas ans Bein binden“ entstanden sein).

In meinen Armen hing nun Julius, in meinen Oberschenkel schnürte eine stramm gezogene Hundeleine, und vor meinen Augen erkalteten die weltbesten Calamari.

Ich spürte den starken Drang, mein Bier in einem Zug leer trinken zu müssen.

Aus den Augenwinkeln heraus nahm ich wahr, wie die ältere Dame vor dem Kellner auf ihr leeres Weinglas zeigte. „Ich würde noch ein Glas nehmen“, hörte ich sie sagen. Ich bildete mir ein, den Nachsatz „jetzt, wo es hier so interessant ist“, gehört zu haben, obwohl sie diesen garantiert nicht laut ausgesprochen hatte. Tom hatte mittlerweile seine Pizza verdrückt und lag so ungeniert auf der Bank, als ob es sich um unser Sofa zu Hause handeln würde.

„Hats geschmeckt?“ fragte bald der Ober und versuchte mit einem zweimeterbreiten Sicherheitsabstand unseren Tisch abzuräumen. Ich nickte und bat Michael, zügig zu zahlen.

 

Dann Kinder ins Auto, Hund ins Auto, Therapiestuhl abbauen. Fix und fertig in die Sitzpolster fallen.

Ausatmen.

„Weißt Du was?“ sagte ich währenddessen mein Mann den Schlüssel ins Zündschloss steckte. „Lass uns doch das nächste Mal einfach eine Pizza bestellen! Irgendeine. Nur keine Familienpizza“.

 

4 Gedanken zu „Komm` lass uns mal wieder essen gehen

  1. Liebe Frau Noack,

    ich habe gestern in der Tageszeitung den Artikel über Sie und Ihre Familie gelesen.
    So bin ich nun auch auf Ihre Seite gekommen und habe schon alle Geschichten gelesen.
    Ich glaube dass sich Julius und unser Sohn Manuel sehr ähnlich sind und auch ein sehr ähnliches Krankheitsbild aufweisen. Es tut so gut zu lesen, dass es tatsächlich auch andere Familien gibt in denen einfache Aktivitäten oder ganz banale Dinge zur organisatorischen Hoechstleistung werden und man trotzdem in seiner Welt zufrieden damit ist.
    Ich werde Ihre Seite jetzt sicher regelmaessig besuchen und wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute, Kraft und jede Menge Nervenstärke beim Hinnehmen dass eben doch das Meisste anders kommt….

    Es grüsst Sie herzlich
    Nicole

    1. Liebe Nicole,

      schön, dass Sie hier vorbeischauen! Dann wohnen Sie wohl hier in der Nähe! Toll, dass Sie durch den Artikel auf meine Seite aufmerksam wurden und sich auch melden!

      Ganz herzliche Grüße an Sie und Ihre Familie

      1. Liebe Frau Noack,

        ja, wir wohnen tatsächlich ganz in der Nähe- in Grunbach. Und das Lustige war, dass meine Tochter gleich gerufen hat „da ist ein Bild von Manuels Stuhl in der Zeitung“, als sie sich an den Frühstückstisch gesetzt hat. In der Tat sieht unser Stuhl nämlich genauso aus.
        Gestern musste ich spontan auch wieder an Sie denken, als ich mich auf den Weg machen wollte zu Schwiegermutters Geburtstag. Als alle Utensilien (Wechselkleider für Manuel, Sauerstoffgerät, Absauge, Nahrungspumpe, Inhaliergerät und Medikamente)zusammengerichtet waren, er 3 mal in die windel gemacht hatte, die grosse Schwester ihre Spielsachen gepackt hatte und die Hasen eingefangen waren ging ein Platzregen los, der das gesamte Gepäck sowie den Rollstuhl unter Wasser gesetzt hat. Somit kamen wir mit leichter Verspätung, durchnässt und ich zusätzlich noch komplett durchgeschwitzt auf dem Geburtstag an. Aber Sie haben es ja schon schön beschrieben, eine Planung ist quasi nicht möglich da es sowieso anders kommt ;-).

        Ein schönes Wochenende und viele Grüsse

        1. Liebe Nicole,

          ich sehe die Szene bildlich vor mir! Und ich kenne diesen logistischen Wahnsinn nur zu gut! Man findet kaum Worte dafür… man muss ihn erleben….
          Ganz liebe Grüße!
          Gabriele Noack

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