So leicht könnte es sein…

 

seifenblasen

Gerade habe ich eine Mail an eine Mutter mit einem ebenfalls behinderten Kind formuliert. In einem Satz habe ich uns Beide als „Betroffene“ bezeichnet – „WIR BETROFFENE“, schrieb ich. Und seit ich auf den „Senden“-Knopf gedrückt habe, geht mir dieser Begriff nicht mehr aus dem Kopf.

„Betroffene“. Was ist das eigentlich für ein komisches Wort? Betroffen, ja, von was? Und wie sieht das aus?

Und überhaupt „betroffen“, das hört sich irgendwie nicht gut an, dachte ich. „Betroffen“ will man eigentlich nicht sein. Erzählt man anderen, dass man „betroffen“ – von was auch immer ist –  erntet man sicherlich einen mitleidigen Blick. Wahrscheinlich entfährt dem Gegenüber noch ein schockiertes, leises „Ohhhh“. Das folgende „Du Arme“, wird nur gedacht. Wenn man Glück hat.

Was ist es, das „Betroffensein“, so unbeliebt macht?

Betroffene haben ein Problem. Betroffene haben Sorgen. Betroffene haben es schwer. Schwerer als „Nicht-Betroffene“ auf jeden Fall. Und „schwer haben“ ist nicht gut. Gar nicht gut.

Leicht soll es doch sein, das Leben! Unbedingt! Alles, bloß nicht betroffen und schwer!

Unser ganzer Fortschritt ist auf Leichtigkeit ausgerichtet, oder nicht? Spülmaschine, Waschmaschine und Kaffeemaschine erleichtern uns die lästige Hausarbeit. Wem es immer noch zu anstrengend ist, der braucht vielleicht einen neuen Kühlschrank? Mit integrierter Kamera? Damit kann man mit dem Handy „ganz bequem“ im Supermarkt stehend, die Käsescheiben zählen. Kein mühevolles Einkaufszettelschreiben mehr. Und vielleicht noch einen modernen Backofen? Auch mit Kamera natürlich. Immerhin entfällt somit das stressige Aufstehen vom Sofa, man kann chillend und lässig rumliegend, die Pizza beim Backen beobachten. Mit so einem Gerät wird es dann aber ganz bestimmt voll relaxed. Das Leben.

Zuckerberg hat zum Glück Facebook erschaffen. Ganz entspannt können wir uns damit alle Geburtstage merken und noch viel einfacher (per Knopfdruck) allen unseren 684 Freunden gratulieren. Überhaupt. Laptop, Smartphone, Whats App, Doodle! – Kommunikation, Terminfindung, alles kinderleicht und schnell gemacht.

Und fast vergessen: Der Thermomix! Mit dem ist sowieso alles easy. Sogar ein 12-Gänge-Menü für die 684 Facebook-Freunde, wenn man sie denn irgendwann einmal persönlich treffen möchte.

Meine Güte, könnte unser Leben einfach sein! Mit der richtigen App und den richtigen Geräten könnten wir völlig tiefenentspannt durch die Gegend schweben!

Es sei denn, wir sind betroffen – von irgendetwas Blödem.

Weil dann hilft auch kein Thermomix.

In Deutschland sind viele Alleinerziehende von Armut betroffen, so lauten die aktuellen Meldungen. Der Schriftsteller, dessen Biographie ich gerade lese, ist von einer Drogenabhängigkeit betroffen. Meine Freundin berichtete mir beim letzten Treffen von ihren grauenhaften Alpträumen – sie ist von einer Angststörung betroffen. Ein guter Freund von einer Depression. Wir, also unsere Familie ist von Behinderung betroffen. Der Großteil meines Umfeldes ist von Stress und dem Gefühl, keine Zeit mehr für sich zu haben, betroffen und eine alte Bekannte von Kinderlosigkeit.

Und jetzt auch noch Brad Pitt und Angelina Jolie! Von einer Scheidung betroffen!

Hilfe! Man könnte meinen, alle sind irgendwie betroffen! Von was? Ich befürchte: vom Leben!

Das würde ja aber auch bedeuten, dass es alle irgendwie schwer haben?  Nein, das darf nicht sein. Da muss man doch was machen!

Und jetzt? Vielleicht mehr Ratgeber studieren? Eine Anleitung fürs „leichtere Leben“: „Der einfache Weg zum Nichtraucher“, „Sorge Dich nicht – lebe!“, „Simplify your life!“, „Schreiben – leicht gemacht“,  – es gibt genug, die wissen, wie es funktionieren kann.

Boahhh, ich glaube, mir wird das fast zu anstrengend. Das „es einfach und bequem haben zu müssen“.

Und da denke ich so für mich im Stillen, dass es vielleicht für mich angenehmer ist, wenn ich damit aufhöre.

Aufhöre, es leichter haben zu wollen.

 

4 Gedanken zu „So leicht könnte es sein…

  1. Liebe Frau Noack, vielen Dank für Ihren neuen Beitrag! Ich freue mich immer sehr wenn ich etwas Neues lese. Da ich bzw. Meine Familie ja auch „Betroffene“ sind, möchte ich mich heute nochmal gern zu Wort melden. Oh ja, betroffen zu sein hört sich furchtbar an. Und klar, einfach haben wir es ganz sicher nicht. Doch ganz ehrlich, wollen wir das? Möchten wir eine „0815“ Familie? Wäre das alles nicht furchtbar langweilig? Wir haben doch so viel gelernt aus unserer Situation. Ich denke, ich kann sagen, wir haben so viel mehr das andere niemals zu sehen oder spüren Vermögen!
    Liebe Grüße Katja

    1. Liebe Katja,

      schön, dass Sie schreiben! Ich muss sehr oft an das Zitat von Viktor Frankl denken, was ich ja auch im Buch verwendet habe: „Jeder hat sein Auschwitz“. Das heißt…wir sind ja alle irgendwie betroffen – von was auch immer. Und wir haben wahrscheinlich alle unsere „Schwierigkeiten“. Aber ich vermute, dass es tatsächlich auf das „lernen“ ankommt – wie Sie schreiben. Ich merke, dass ich aus meinen Erfahrungen auch lerne, diese Schwere, die es nun einmal gibt im Leben, anzuerkennen und mich mit ihr zu beschäftigen, anstatt sie „weghaben“ zu wollen. Manchmal ist das „Menschsein“ einfach sehr hart – manchmal wunderschön und oft nichts von Beidem….
      Liebe Grüße
      Gabriele Noack

      1. so eben habe ich das Buch fertig gelesen. zu meiner Tochter sagte ich: das könnte auch unsere Geschichte sein. Allerdings schon vor 32 Jahren, auch in Ulm in der Uniklinik auf der Frühgeborenen Station gelegen, und wir kämpfen heute noch. Aber wir leben inzwischen gut damit. Es ist eine lange Geschichte……….
        Schön dass Sie den Mut hatten alles aufzu schreiben. ich hatte ihn nicht.

        1. Liebe Monika Heim,

          ich glaube, das Schreiben war zunächst eine reine Überlebensstrategie. Selbstzweck also. Irgendetwas musste ich einfach tun. Und kurz vor der Veröffentlichung habe ich auch mit ziemlichen Ängsten und Zweifeln gekämpft.
          Und jetzt hoffe ich, dass meine Ehrlichkeit vielleicht ein bisschen hilft, offener und „normaler“ mit „uns“ und Julius umzugehen.
          Ich weiß mittlerweile, dass es so viele Familien gibt, die sehr, sehr viel zu erzählen haben…Danke, dass Sie mir geschrieben haben! Und alles, alles Gute für Sie und Ihre Tochter!
          Herzliche Grüße
          Gabriele Noack

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