Scham

VIelfalt

 

Ich spüre eine Scham. Natürlich auch, weil morgen mein Buch veröffentlicht wird. Mein Buch, in dem ich sehr persönlich meine Geschichte erzähle und Einblicke in meine Gedankenwelt gewähre. Diese Einblicke sind nicht „schick“ oder „cool“. Sie sind nur ehrlich. Und wenn ich mir das vor Augen führe, dann komme ich dabei auch zeitweilig mit meinen Schamgefühlen in Kontakt. Wäre es nicht merkwürdig, wenn nicht?

Und genau in diesen Tagen, erscheint im Magazin der Süddeutschen Zeitung (Nr. 17, 29.April 2016) ein Artikel über Peinlichkeiten und Scham. Der Autor Harald Willenbrock zitiert eine Studie von Julia Döring, Kommunikationswissenschaftlerin („Peinlichkeit: Formen und Funktionen eines kommunikativ konstruierten Phänomens“). Frau Döring kommt zu dem Ergebnis, dass wir heutzutage keinesfalls in einer schamlosen Gesellschaft leben. Und das, obwohl ich im Fernsehen laufend peinliche Castings oder entblößende Shows entdecke! Nein, Frau Döring meint sogar, dass es heute viel mehr als früher darauf ankäme, ein souveränes Bild nach außen abzugeben. Sie spricht von „Selbstdarstellung“, „permanenter Selbstkontrolle“ und „perfekte Inszenierung“.

Das erschreckt mich. Aber ganz genau diese Erfahrungen mache ich tagtäglich. Auch in meinem Umfeld wird z. B. genau darauf geachtet, welches Bild bei Facebook gepostet wird – denn es ist schließlich aussagekräftig. Man will glücklich, zufrieden, gesund, sportlich, braun gebrannt erscheinen.

Schwächen? Leid? Ängste? Besser verbergen. Diese Themen sind nicht unbedingt gesellschaftsfähig. Höchstens man hat sie mit Bravour überwunden. Ein Burnout ist vielleicht auch noch schick – denn ein zu hoher Anspruch an sich ist ja im Grunde erwünscht und somit durchaus akzeptabel. Dabei kann es schon mal vorkommen, dass man Grenzen missachtet. Das lässt sich durchaus entschuldigen.

Und wenn ich das alles so lese, überlege ich mir, dass ich es überaus anstrengend finde, in einer solch nach außen orientierten Gesellschaft zu leben. In einer Gesellschaft in der ich eigentlich nur noch als eine Art Attrappe auf die Straße gehen darf. Mich nur noch in einer bestimmten Art und Weise zeigen soll. Als ein Wunschbild? Ein Schein?

Das Menschsein beinhaltet doch so viel mehr. Krankheit, Leid, Glück, Scham, Schuld, Trauer, das alles sind doch menschliche Facetten, die unser Leben so reichhaltig und tief machen. Natürlich wird es dadurch auch oft schmerzhaft. Ja. Aber das können wir nun einmal nicht vermeiden.

Was passiert denn, wenn wir nur noch die vermeintlich positiven Aspekte des Lebens verkörpern? Bleibt der Mensch als einzelner nicht allein und leer auf der Strecke?

Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der das Menschsein einen Platz hat. In der es Leid geben darf, Behinderungen,  Schmerzen, Kummer und Ängste. Und in der man über eigene Schwächen reden oder schreiben darf und dafür weniger über die der Anderen. Weil ich mir sicher bin, dass jeder Einzelne von uns all diese Gefühle in sich trägt. So verschieden sind wir nicht. Wir sind doch alle nur Menschen.

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